(orig. Krawall im Puppenhaus)
VÖ: 10.10.2025
Das hier ist kein Wohlfühl-Release. Krawall ist ein offenes Verbrechen gegen gute Laune — ein Nachschlag, der tiefer gräbt als der erste Schlag. Wer dachte, Puppenhaus Party sei schon genug Zynismus in sechs Zimmern, der hat noch nicht erlebt, wie Tommy die Fassade durchbohrt: Hier krachen Möbel, Gefühle und Anstand im Sekundentakt gegen die Wände. Alles ist vertraut und verrissen zugleich — ein Puppenhaus voller Strohpuppen-Seelen, die sich gegenseitig anbrüllen, bis die Farbe abblättert.

Ein verfallenes Puppenhaus voller abgenutzter Zimmer, in denen verstörende Puppen-Szenen wie eingefrorene Schreie wirken. Zwischen Schlafzimmer, Bad und Wohnzimmer entfaltet sich eine unheimliche Miniaturwelt: gebrochene Möbel, starre Gesichter, eine Puppe liegt leblos am Boden. Das Cover von „Puppenhaus Krawall“ wirkt wie eine düstere Theaterbühne – kalt, klaustrophobisch, doch zugleich detailreich inszeniert. Ein Sinnbild für das Chaos hinter der Fassade, das mehr über uns erzählt, als uns lieb ist.
In der Mitte: ein puppenhaftes, zweistöckiges Haus, frontal, sachlich, fast bibliotheksartig präsentiert — und doch voller Abgründe. Die Räume sind sauber aufgeteilt wie Kapitel in einem schlechten Familienroman: Schlafzimmer, Bad mit leerer Wanne, Wohnzimmer, Küche, Balkon. Die Beleuchtung ist düster, kalt-bläulich, und trotzdem bleibt genug Sicht, um jedes Splitterdetail zu lesen: verstaubte Tapeten, abgewetzte Möbelkanten, weggeknickte Stuhlbeine, Holzklötze verteilt wie eine Explosionsspur. Puppengesichter starren mit dem starren Lächeln vergangener Jahre, aber ihre Körperhaltung ist auf Krawall getrimmt — ein Kind liegt zusammengesackt, zwei andere schreien, ein weiteres steht leer im Türrahmen, als hätte es nur auf einen Anlass gewartet.
Oben prangt der Schriftzug — roh, gebrochen, wie ein Stempel aus der Großstadt: Puppenhaus KRAWALL. Unten, fast schon despektierlich klein, das Label VERSVS — weil Eleganz und Anarchie nur selten auf derselben Straßenseite wohnen. Das Dach trägt keine plakative Eule; vielmehr lässt die Szenerie Raum für etwas Schemenhaftes, eine Silhouette am Rand der Wahrnehmung — nicht prominent, sondern angedeutet. Diese leichte Zurückhaltung macht das Cover gefährlicher: das Unheil ist nicht laut, es ist da und wartet.
Was dieses Album tut (kurz, brutal, ungeschönt)
Tommy nimmt die vertraute Heimat als Metapher und macht daraus ein Schauplatzdrama: Alltag zerbröselt, Selbstbetrug fliegt auf, und die Puppen — unsere Rollen, unsere Masken — streiten sich um die letzte Tablette Normalität. Keine Schonung, kein Dekor. Krawall ist der Soundtrack zu einem Haus, das man lieber nicht betreten hätte, aber jetzt ist man mittendrin.
Track-Interpretationen — Zimmer für Zimmer, Schlag für Schlag
1. Abgefuckte Welt
Eröffnet wie eine Sirene. Keine Ironie, nur Bilanz: das Leben als Brachfläche. Der Ton ist schnippisch, die Diagnose direkt ins Mark — eine Gesellschaft, die rostet und trotzdem weiterzieht, weil sie nichts Besseres kennt.
2. Fiese Fresse
Porträt der Meute. Jemand triumphiert im Stillen, jemand anders zeigt die Zähne. Es geht um Gesichter, die Freude vortäuschen, während sie mit Zynismus operieren — bitter, präzise, gemein.
3. Schrei es hinaus!
Die Reaktion auf alles: nicht reflektieren, sondern explodieren. Eine Einladung zum Ausbruch, zur kathartischen Wut, die zu kurz erscheint, aber reicht, um Fenster zu zersplittern.
4. Die Fische beißen nicht mehr an
Metapher für die Zeit, in der nichts mehr funktioniert — die Köder sind vergoldet, doch niemand will mehr beißen. Trügerische Ruhe, die nach dem Sturm riecht.
5. Krach im Puppenhaus
Titeltrack in Aktion: Krach ist nicht nur Lärm, es ist System. Die Wände knacken, Rollen kippen, die Inszenierung bricht zusammen. Hier wird das Puppenhaus buchstäblich zur Arena.
6. Ironie der Zeitverschwendung
Sarkasmus als Überlebensstrategie. Ein Song für Zyniker, die erkennen, dass alles Zeitverschwendung ist — und darin, mit kalter Freude, etwas wie Freiheit finden.
7. Sei ‘ma nich’ so kleinlich
Hohes Maß an Verachtung für das Kleinklein. Tommy legt den Finger in die Wunde: Wer sich an Kleinigkeiten festbeißt, hat das Große nicht mehr kapiert — oder es schlicht nicht verdient.
8. Gestern war’s noch Sommer
Kurz, nostalgisch, aber nicht weich. Es ist die Erinnerung an Wärme, die sofort von der Realität zerpflückt wird. Melancholie, die nicht tröstet, sondern erinnert an Verlust.
9. Solgerberg
Ein Ortsname? Ein Sarkasmus auf Ortsverklärung? Tommy nutzt es als Katalysator für Skurrilität, als Mini-Epik, die regionale Banalität zur Makroperspektive macht.
10. Lassen Sie mich durch, ich bin YouTuber
Bissige Gesellschaftskritik: Influencer-Kultur als neue Religion — laut, aufdringlich, bedeutungsschwanger. Tommy lacht nicht nur — er reißt den Vorhang runter.
11. Waghalsig aber Geschafft
Ein kleiner Triumph, roh, schief, aber echt. Hier atmet etwas auf: die Gefahr zahlt sich kurz aus, ein Moment realer Kontrolle im Chaos.
12. Schreie aus dem Puppenhaus
Rückkehr zum Kern: die Schreie sind nicht nur laut, sie sind Belege. Jeder Schrei hat eine Geschichte, und Tommy sammelt sie, dokumentiert sie, macht daraus Alarm.
13. Ich trau’ mich nicht
Panik, Scham, menschliche Schwäche. Ein Blick nach innen, der uns nicht wie ein Heilungsweg erscheinen lässt, sondern wie eine Bestandsaufnahme.
14. Versiffte Realität
Die Realität als etwas, das man sauber machen müsste — wenn man nicht bereits vom Schmutz profitiert. Bloßstellen des Niedrigen, zynisch, ohne Moraltripp.
15. Beim nächsten Ton ist es 6:02 Uhr
Uhrzeit als Ritual. Ein Song, der die Übermüdung zelebriert, die Zeit der Entscheidungen, die man immer wieder verschiebt. Kleine Regel: die Uhr lügt nicht.
16. Drück’ mal auf Pause
But no pause. Ein ironischer Wunsch nach Stillstand in einer Spirale, die nicht ruht. Tommy kennt die Verlockung des Ausstiegs — und nutzt sie, um dich wieder anzutreiben.
17. Aussichtslos
Schlussbild: die Erkenntnis, dass manche Räume keine Fenster haben. Kein Pathos, nur nüchterne Feststellung. Womöglich die ehrlichste Zeile des Albums: keine Lösung in Sicht. Und trotzdem ein Ende, das sitzt.
Warum dieses Album nicht nur ein weiteres Release ist
Weil Krawall nicht fragt, ob du bereit bist. Es trifft. Es dokumentiert das Scheitern als kulturelles Event und macht daraus Kunst. Tommy setzt nicht auf hübsche Brüche oder harmlose Provokationen — er bohrt tiefer, bis die Wunde zum Markenzeichen wird. Wer seine Freakshow-Chronik verfolgt, erkennt die Logik: jede Eskalationsstufe schraubt die Intensität höher, bis das Puppenhaus auseinanderfällt. Krawall ist der Moment, in dem die Schrauben endgültig durchdrehen.
Für wen ist das Album?
Für diejenigen, die reinhören wollen, statt nur zu nicken. Für Leute, die den Spiegel brauchen, der ihnen sagt, wie dreckig die Welt wirklich ist. Für Fans der Linien, die Tommy seit Jahren zieht: roh, direkt, ironisch bis zur Schmerzgrenze.
Fazit:
Krawall im Puppenhaus ist kein Trostpflaster, keine Retrospektive, keine Playlist für Sonntagsschnulzen. Es ist ein forciertes Sezieren, ein musikalischer Tritt in den Magen unserer normal-denkenden Komfortzone. Tommy legt nach — tiefer, dunkler, konsequenter. Wer mit ihm kommt, sollte wissen: hier gibt’s keine Rückbank. Nur vornweg, in den grauenvollen Sog. VÖ: 10.10.2025 — Türen auf, Lärm an, Vorhang runter. Willkommen im nächsten Zimmer.

